Die Wal-Kämpferin

Die Wal-Kämpferin

Zum Gedenken an Petra Deimer-Schütte (1948–2024)

Greenpeace ist bekannter als die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere. Die WDC rühriger. Sea Shepherd lauter. Aber Mitte der Siebzigerjahre war keiner dieser drei, mittlerweile global agierenden Walschutzvereine in Deutschland aktiv. Vor 50 Jahren gab es zwar auch im deutschsprachigen Raum unzählige Tier- und Naturschutzvereine, aber keinen, der ausschließlich oder überwiegend oder überhaupt viel um Wale und andere Meeressäugetiere sich gekümmert hätte. Diese Lücke füllte zunächst die von der Hamburger Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin Petra Deimer gegründete GSM. Während ihrer 35-jährigen Amtszeit als Vorsitzende hat zumindest in Deutschland keiner wirkungsvoller zum Schutz der Wale und Robben gearbeitet als Petra. Sie war keine Schlagzeilen erheischende Aktivistin, keine Selbstdarstellerin. Eher eine stille Diplomatin, die selbstbewusst aber nie selbstgerecht mit Behörden wie mit Interessenverbänden geschickt verhandeln konnte. Eine Pragmatikerin. Als eine von Deutschlands wenigen, richtigen Cetologen wurde „die Deimer“, wie sie in Fachkreisen respektvoll genannt wurde, mit ihrer einnehmenden, aufgeschlossenen Art auch von Widersachern ernstgenommen. Zumal sie immer bemüht war, Wal- und Robbenfängern, aber auch Konsumenten von Walprodukten eine Alternative anzuzeigen. Gleichzeitig erreichte sie mit ihren populärwissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen eine breite Öffentlichkeit. Als Petra vor knapp fünf Jahrzehnten zur „Rettung der Wale“ antrat, gab es für die Meeressäuger in Deutschland keine Lobby. Schweinswale, Delfine und Seehunde waren immer noch Feinde der Fischer. Orcas „Mörderwale“. Pott- und Furchenwale Rohstofflieferanten. Heute haben Meeressäugetiere die vielleicht stärkste Lobby aller Wildtiergruppen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst der Gründungsvorsitzende der GSM.

Als Tochter zweier Flüchtlinge aus dem südlichen Ostpreußen kam Petra Deimer am 9. März 1948 in Göttingen zur Welt. Recht behütet ist sie in Minden in Westfalen aufgewachsen, wo ihr Vater als Arzt mit einer eigenen Praxis Fuß fassen konnte. Sportlich begabt, sammelte sie im Rudern und Ballett Sportabzeichen. Ihre Liebe auch zur Natur entdeckte sie früh. „Petra wusste schon im Studium, dass sie sich später dem Naturschutz widmen wollte“, erzählte mir neulich einer ihrer damaligen Professoren. Nach ihrem Abitur 1966 zog sie nach Hamburg um Zoologie, Fischereibiologie und Hydrobiologie zu studieren. Ihren Abschluss erwarb sie 1975 mit einer Diplomarbeit über „den rudimentären hinteren Extremitätengürtel der Wale, seine Variabilität und Wachstumsallometrie“. Für ihre Promotion war an eine Arbeit über die embryonale Entwicklung der Nasenregion des Pottwalschädels gedacht. Sie bemühte sich selbst auf Madeira um eine Vervollständigung des Hamburger Materials, konnte aber die aufwändigen Laborarbeiten wegen ihrer inzwischen vielfältigen Inanspruchnahme durch den Naturschutz nicht zu Ende bringen.

Die frisch gekürte Diplombiologin wurde 1975 für ein knappes halbes Jahr Aushilfslehrerin am Gymnasium Hamburg-Othmarschen und später für ein knappes Jahr Lehrkraft an der Bundeswehrfachschule in Hamburg-Blankenese. Sie verließ die Anstalt auf eigenen Wunsch, um als freie Journalistin und ein Jahr später Redakteurin der bis 1981 florierenden Zeitschrift „Sielmanns Tierwelt“ zu arbeiten. Als Gesprächspartnerin des „Stern“ mal für eine in Vorbereitung befindliche, große Reportage über Wale, Walfang und Walschutz erkannte sie eine vielleicht einmalige Gelegenheit, kostenlose Werbung für einen neuen gemeinnützigen Walschutzverein in einer damals weitverbreiteten, sehr auflagenstarken Illustrierten unterzubringen. Nur musste der Verein noch schnell gegründet werden. Mit zwei ihrer ehemaligen Professoren sowie der in Biologie promovierten Ehefrau des einen, ihrem damaligen Chefredakteur, einem befreundeten Rechtsanwalt und dem Kollegen vom „Stern“ – mindestens sieben Personen brauchte man für einen neuen eingetragenen Verein – gründete Petra Ende 1977 in ihrer Wohnung in Hamburg-Blankenese die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere. Amtlich ins Vereinsregister kam die GSM e. V. Anfang 1978.

Das erste Hauptanliegen des neuen Vereins war ein Importstopp für Walprodukte. Noch war Deutschland weltweit einer der Hauptabnehmer von Walöl und Walrat als Schmiermittel und Salbe, und Ambra für die Herstellung von Duftstoffen. Beim damaligen, für den Naturschutz zuständigen Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl vorstellig geworden, ist sie als Delegierte der Bundesregierung bei der internationalen Artenschutzkonferenz in Delhi 1981 berufen worden und hat maßgeblich zur Erarbeitung des erfolgreichen Antrags auf Verbot des internationalen Handels mit Pott- und Furchenwalprodukten beigetragen. Von 1981 bis 2012 war Petra Vertreterin der Bundesrepublik im Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission (IWC) und hat das 1982 vereinbarte weltweite Verbot des kommerziellen Walfangs mit ausgehandelt. Trotz Schlupflöchern für indigene Völker und Ausnahmeregelungen bzw. Ausstiegsklauseln für manche Walfangländer, war das Übereinkommen ein wichtiger Schritt in Richtung Arten- und Bestandsschutz.

Ein weiterer früher Erfolg war ein Walschutzprojekt auf Madeira, das sie als forschende Studentin gut kennengelernt hatte. Aber wie finanzieren? Petra verstand sich als Wissenschaftlerin und Publizistin; Fundraising war ihr ein Gräuel. Die GSM sollte ein eher kleiner Verein bleiben mit einer gut überschaubaren Mitgliedschaft von gleichgesinnten Mitstreitern. Mit dem 1969 in Kanada gegründeten International Fund for Animal Welfare (IFAW) traf sie auf eine mittlerweile finanzstarke Organisation, die in Deutschland auf Partnersuche war. Der IFAW kümmerte sich anfangs vor allem um das Ende des Robbenschlags in der Arktis und Subarktis; Berührungspunkte mit der GSM waren offensichtlich. Mit einer Spende von 200.000 DM half IFAW der GSM bei der Finanzierung alternativer Touristenziele auf Madeira. Einstige Walfänger wurden Fremdenführer bei Whale-watching-Ausflügen; am alten Walfängerhafen Caniçal bei Machico entstand ein Walfangmuseum. Portugal erklärte die Gewässer um Madeira 1987 zum ersten Meeressäugerschutzgebiet der Welt. Nicht nur wandernde Cetaceen, sondern vor allem die vom Aussterben immer noch bedrohten Mönchsrobben fanden ein sicheres Rückzugsgebiet.

Die Ehrenbürgerschaft Machicos war nicht die erste Auszeichnung, mit der Petra bedacht wurde. Mit dem Bruno-H.-Schubert-Preis der gleichnamigen Stiftung wurde sie 1983 „für besondere Verdienste um die Erhaltung der Natur und der Tierwelt“ geehrt. Zehn Jahr danach folgte die Konrad-Lorenz-Medaille der Konrad-Lorenz-Gesellschaft für Umwelt- und Verhaltenskunde. Im Jahre 2001 erhielt sie den vom niederländischen Königshaus an Naturschützer verliehenen Orden der Goldenen Arche. 2011 folgte der Premio Gorila der Loro Parque Fundación (LPF), der finanzstärksten Naturschutzorganisation Spaniens. Die GSM als Ganzes bekam 2003 den Hanse-Umweltpreis des Naturschutzbund Deutschland (NABU) zugesprochen.

IFAW gründete 1986 in Hamburg eine eigene Niederlassung, unterstützte die GSM aber finanziell bis 2007. Als Hauptsponsor wurde er dann von der Loro Parque Fundación abgelöst, mit dessen Gründer Wolfgang Kießling Petra sich schon 1987 angefreundet hatte. Als Walschützerin stand sie den ersten Delfinarien sehr kritisch gegenüber, von denen in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Europa immer mehr gegründet wurden. Allein in Deutschland gab es zeitweilig ein Dutzend. Vom Direktor des Nürnberger Tiergartens und seinem Sicherheitsteam wurde sie, obwohl begleitet von zwei Journalisten, einst regelrecht vom Hof gejagt als die drei das damals etwa zehnjährige Delfinarium inkognito besichtigen wollten. Aber Petra erkannte auch früh das Potenzial der Delfinarien als Mittel zur Förderung des Naturschutzbewusstseins, auch wenn ihr Pragmatismus bei Fundamentalisten innerhalb der Tierrechtsbewegung auf harsche Kritik stieß. Es ging ihr immer um das große Ganze, nicht um die Befriedigung einer Ideologie.

Mit deutschen Freunden, die auf Teneriffa eine Ferienwohnung besaßen, besuchte Petra 1987 das neu eröffnete Delfinarium des Loro Parque in Puerto de la Cruz, das damals größte in Europa. Dieses Mal kam sie nicht inkognito; die Freunde kannten den aus Deutschland stammenden Inhaber des Tierparks und stellten die beiden gegenseitig vor. Wolfgang Kießling erinnert sich, „dass eine Tierschutzaktivistin bei uns angekündigt wurde, die unser neues Delfinarium unter die Lupe nehmen wollte. Angetan war ich nicht von der Idee, zeigte ihr dennoch unsere Anlagen, auf die ich stolz war, auch hinter den Kulissen. Am Ende sagte sie zu mir: ‚Wenn ein Delfinarium so wie hier aussieht, kann ich damit leben‘.“ Die Loro Parque Fundación war noch nicht gegründet worden, aber Petra und Kießling vereinbarten schon 1988 Zusammenarbeit bei der Forderung nach einem Naturschutzgebiet, das ganz Makaronesien umfassen sollte, also die Inseln und Gewässer um Madeira, die Azoren und die Kanaren. Erst jetzt, nach fast 40 Jahren, bahnt sich ein Länder übergreifendes Übereinkommen zur Errichtung des Meeresreservats an.

Bei Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm lernte Petra 1989 den Kameramann Hans-Jürgen Schütte vom NDR kennen. Ein Jahr später waren sie ein Ehepaar. Mit in die Ehe brachte sie zwei Graupapageien, die sie Jahrzehnte begleiten sollten. Neben Walen waren Papageien Petras große Leidenschaft; auch über die Krummschnäbel schrieb sie populärwissenschaftliche Bücher und Aufsätze. Das förderte natürlich die Zusammenarbeit mit dem Loro Parque, der schließlich einst als Papageienpark gegründet worden war. Mit ihrem Mann erstellte sie 1991 eine NDR-Dokumentation über den illegalen Papageienhandel, die in der Reihe „In Sachen Natur“ im Dritten Programm ausgestrahlt wurde. Nach seiner Pensionierung wurde Schütte Geschäftsführer der GSM. Gemeinsam mit dem Journalisten Walter Karpf als stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher führten sie die Geschäfte der GSM bis zu ihrer Auflösung als eingetragener Verein Ende 2012.

Petra war maßgeblich am Entstehen des Abkommens zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee, des Nordostatlantiks und der Irischen See beteiligt. Nach dem englischen Akronym kurz ASCOBANS genannt, ist die Übereinkunft 1994 in Kraft getreten. Bis 2012 war sie wissenschaftliche Beirätin. Der Schutz des Schweinswals in der Nord- und Ostsee blieb zeitlebens eine Herzensangelegenheit von Petra und ihrem Mann, leidenschaftliche Segler. Auch der Schutz des Grauwals wurde ein Schwerpunkt von Petras Einsatz. In den Neunzigerjahren beantragte Mitsubishi in Mexiko eine Genehmigung zum Bau der bis dahin größten Saline der Welt – ausgerechnet an der Laguna San Ignacio, der vielleicht wichtigsten Kinderstube des Grauwals. Mit mexikanischen und US-amerikanischen Naturschutzverbänden zusammen bewirkte die GSM ein Umdenken. Whale-watching ist heute eine der bedeutendsten Stützen der Wirtschaft in Baja California. Wie Petra schon auf Madeira erkannt hat: Walschutz muss sich auch für die einheimische Bevölkerung bezahlt machen, wenn er Erfolg haben soll.

Das „Hamburger Abendblatt“ betitelte Petra 2010 aus Anlass einer Jahrestagung der IWC in einem Kurzporträt auf Seite 1 als „Wal-Kämpferin“. Das war sie ihr ganzes Berufsleben lang. Der Vereinsvorstand war mit ihr inzwischen alt geworden. Nachfolger boten sich nicht an. Ende 2012 beschloss Petra gesundheitsbedingt, den Vorsitz abzugeben. Die GSM ist 2013 als Freundeskreis in die Organisation Deepwave e. V. aufgegangen. Der Wal-Kampf war zwar nicht vorbei, noch nicht gewonnen, aber wichtige Siege für die Meeressäugetiere hat sie in über drei Jahrzehnten eingefahren. Nach langer Krankheit ist Petra Deimer-Schütte am 27. März 2024 kurz nach ihrem 76. Geburtstag in Hasloh bei Hamburg verstorben.

Herman Reichenbach

 

Traueranzeige Petra Deimer